Donnerstag, 26. April 2012

Choral am Ende der Reise



"Mittwoch, 10. April 1912                                                                       London, kurz vor Sonnenaufgang

Er trat aus dem Haustor und ging in den Morgen. Er dachte: Durch solche stillen morgendlichen Straßen zu gehen, allein, Abschied nehmend, ist merkwürdig. Es ist noch früh, du hörst noch den Widerhall der eigenen Schritte auf dem Pflaster. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen.
Zur Themse hin fällt die Straße ab. In der Hand trägst du einen kleinen Koffer und unter dem Arm den Geigenkasten. Mehr nicht. Und es geht sich leicht. Wenn du um die Ecke kommst, wirst du den Himmel im Osten sehen.
Er ging. die Gebäude der Stadt umgaben ihn; in der Morgendämmerung wurden sie leicht und durchsichtig. Fast schwebten sie. Und im Straßenraum, zwischen den Häuserreihen, floß das Licht der Dämmerung, so blau, wie es nur im April ist, unfaßbar, wie ein unbekanntes Intervall. Zu so früher Stunde waren nicht viele Menschen unterwegs: Ein paar Straßenmädchen, ein Gemüsehändler oder zwei, mit Handkarren, ein morgendlicher Spaziergänger und er selbst. Schritte auf Stein. Die Gesichter ebenso durchsichtig wie die Stadt bei diesem Licht. Er dachte: Auch mein Gesicht sieht jetzt so aus. Bald hatte er die Straßenecke erreicht.
Er wußte: Heute bin ich aufgestanden und habe die Pension verlassen. Die Bettwäsche war klamm und schmuddelig. Ein weiteres Logis, eine weiteres Bett, in dem du nie mehr schlafen wirst. Vor dir liegt alles - was, weißt du nicht. Lange ist es so gewesen. Zu vielen Jahreszeiten hatte es viele solcher Morgen und stille Straßen gegeben. Du gehst durch Städte und siehst, wie die Menschen leben, du siehst Unterwäsche und Bettzeug, das von der Nacht getrocknet wird und wartend auf Leinen hängt. Hinter den Fenstern schlafen sie, die Kinder, die Frauen, die Männer. Du weißt das."

(erste Seite aus: Choral am Ende der Reise von Erik Fosnes Hansen)

Als ich diese Zeilen vor ungefähr zwei Wochen las, neben mir eine Tasse mit duftendem Tee, fühlte ich mich so wohlig, so angeregt wie schon lange nicht mehr. Ich hatte fast vergessen wie gut es tut ein Buch zu lesen. Monatelang hatte ich kein Buch mehr gelesen. Dabei ist es so schön in Geschichten zu versinken und ich habe mir geschworen  nie wieder so lange ohne Buch auszukommen.
Hat diese Geschichte dann auch dieses erste Gefühl bestätigt, werdet Ihr Euch nun fragen. 

Das Buch soll die Lebensgeschichten der Mitglieder des Orchesters auf der Titanic erzählen. Ich hatte mir diese Geschichte ausgesucht, da ich mich aufgrund der Berichterstattungen anlässlich des 100. Jahrestags ihres Untergangs, mich wieder daran erinnerte, daß ich dieses Buch noch ungelesen im Regal stehen hatte. Die Titanic an sich birgt tausende spannende Geschichten und so war ich neugierig auf dieses Buch, welches damals, als es erschien, auf den Bestsellerlisten stand.
Es erzählt die Lebensgeschichte von Jason Coward, dem Kapellmeister, dem wir direkt am Anfang begegnen. Dann die Geschichte von David Bleiernstern, der zweiten Violine. Von "Spot", dem Mann am Klavier. Von Petronius Witt, dem Bassisten und auch die Geschichte von Alexander Bjeschnikow, der ersten Violine. Einige kennen sich schon länger und haben auf anderen Schiffen miteinander gespielt, andere kommen ganz neu hinzu. Die Beziehung unter den Musikern wird kaum beschrieben und auch die Geschichte der Titanic ist nicht wirklich wichtig. Es geht nur um diese Männer und wie ihr Leben bis zu diesem Zeitpunkt auf der Titanic aussah, wie sie an diesen Punkt gekommen sind.
Das ist teilweise packend geschrieben und zeigt, daß es ganz unterschiedliche Männer sind. Teilweise sind manche Beschreibungen doch etwas zu blumig und ausufernd geschrieben.
Wie gesagt die Titanic ist nur zufällig der Ort, wo sich die Personen gerade aufhalten. Selbst als es zum Untergang kommt, wir alle wissen schließlich wie die Reise endet, hat das kaum Einfluß auf unsere Hauptpersonen. Ja, sie spielen bis zum Ende, aber vom Innenleben erfährt man nichts mehr.
So hat mich das Buch etwas ratlos gemacht, denn ich verstehe nicht, warum der Autor diese Lebensgeschichten erzählt und sie mit der Titanic in Verbindung bringt, allerdings nur äußerlich.
Alle Personen sind seiner Fantasie entsprungen, es sind nicht die Geschichten der realen Orchestermitglieder. Eine Geschichte über die Titanic sollte man also nicht erwarten.

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