Mittwoch, 10. Oktober 2012

Othello, eine Blutvergiftung und der Tod

Othello  1996 - 14. August 2012
 Nun ist es fast zwei Monate her seitdem Othello tot ist. Ich hatte Euch hier versprochen die genauen Umstände zu erzählen. Nun habe ich es die ganzen Wochen vor mir hergeschoben, aber jetzt will ich es endlich erzählen.
Vorangegangen war die Verletzung an seinem Hinterbein. Diese Wunde sollte mit einem Spray, einmal täglich, eingesprüht werden. Bei der Tierärztin hatte er sich gut von mir festhalten lassen, damit sie sprühen konnte, so dachte ich mit Hilfe vom Nachbarn könnte das wieder so funktionieren.
Es war Donnerstagmittag und ich wollte mir Othello schnappen und festhalten damit mein Nachbar dann die Wunde einsprühen könnte. Ich nahm Othello hoch und merkte, daß ihm das nicht so ganz gefiel, also habe ich ihn im Nacken gepackt, wie man das bei Katzen so macht. Es war eine Sache von Sekundenbruchteilen, ich packte ihn im Nacken, er biß mich heftig in den rechten Daumenhügel und ich ließ ihn sofort wieder los. Die Wunde war gut am Bluten und ich habe dann erstmal meinen Nachbarn nach Hause geschickt und meine Hand mit Betaisadona und einem Verband versorgt.
Erst dann bin ich wieder zu Othello und da sah ich es: ich hatte ihn skalpiert!

In seinem Nacken, wo ich ihn kurz festgehalten hatte, war eine Stelle, so groß wie meine Handfläche, wo das Fell weg war und nur noch die rohe Haut zu sehen war. Wie konnte das nur passieren? Es war ein ganz normaler Griff, der nicht besonders lang gedauert hat. Jetzt war mir auch klar warum er mich so in meine Hand gebissen hat. Ich zitterte am ganzen Körper und habe ihn zur Tierärztin gebracht.
Als sie diese Wunde sah war sie sprachlos und ratlos. Sie konnte sich absolut nicht erklären wie das passieren konnte. Sie untersuchte das Fell drumherum, das teilweise in Fetzen hing und bemerkte, daß es von unten schon eine ledrige Oberfläche hatte, so konnte es gar keine Verbindung mehr mit der Haut gehabt haben. Erstmal konnten wir nichts weiter tun als auch diese Wunde einzusprühen, genauso wie das Bein. Ich sollte dann am nächsten Tag nochmal mit ihm in die Praxis kommen. Mir legte sie ganz dringend ans Herz wegen meiner Wunde unbedingt noch zum Hausarzt zu fahren. Wenn es nach mir gegangen wäre hätte ich es nicht gemacht, meine Wunde kam mir so gar nicht wichtig vor in diesem Moment. Trotzdem habe ich mir ihren Rat zu Herzen genommen und bin noch zum Arzt gefahren. Er hat mir eine Tetanusimpfung verpasst und die Wunde nochmal eingesprüht und verbunden. Geschmerzt hat sie mich die ganze Zeit überhaupt nicht, trotzdem habe ich sie abends noch gut gekühlt, wie vom Arzt empfohlen.
Bevor ich ins Bett gehen wollte, wollte ich die Wunde nochmal mit Betaisadona behandeln und einen ordentlicheren Verband für die Nacht machen. Als ich den Verband vom Arzt abnahm und mir das alles nochmal anschaute wurde mir ganz flau. Nicht wegen der Wunde, sondern ich sah einen roten Streifen vom Handgelenk in Richtung Armbeuge. Irgendwie wußte ich es gleich, aber hatte es mir immer anders vorgestellt und wollte es nicht wahrhaben. Ich rief meinen Vater an, kurz vor 24 Uhr, der einige Erfahrungen mit Blutvergiftung hat. Als ich ihm den Streifen beschrieb bestätigte er gleich meine Vermutung. Dieser wundervolle Vater kam mich auch gleich zuhause abholen und hat mich in die Ambulanz des nächsten Krankenhauses gefahren. Glücklicherweise war dort nichts los und ich kam direkt dran. Dort bekam ich dann eine Gipsschiene am Daumen verpasst, damit sich die Bakterien nicht noch weiter durch Bewegung ausbreiten sollten. Außerdem bekam ich Antibiotikumtabletten für direkt und morgens. Am nächsten Vormittag sollte ich nochmal zur Kontrolle kommen. Was war ich froh, daß mein Vater mich gefahren hat, denn mit der Gipsschiene hätte ich doch kein Auto mehr fahren können.
Am nächsten Morgen hat meine Mutter mich dann wieder zum Krankenhaus gefahren, da mußten wir etwas länger warten als in der Nacht. Als die Ärztin dann den Verband aufgeschnitten hat und sich die Wunde ansah, meinte sie gleich ich solle zur Handchirugie in ein angeschlossenes Krankenhaus fahren. Meiner Meinung nach war der Daumen nicht mehr so dick wie noch in der Nacht, aber gut, wenn sie meint, jetzt mußte ich erstmal schauen wie wir überhaupt mit dem Auto von diesem Krankenhaus zu dem Anderen kommen - gelobt sei ein Smartphone mit Navigator. Dort im Krankenhaus dann angekommen sah man gleich schon eine große Anzahl an Leuten, die warteten, also habe ich meine Mutter nach Hause geschickt und meinte ich könnte dann auch mit öffentlichem Nahverkehr wieder nach Hause fahren. Es hat dann auch eine Weile gebraucht bis ich dran kam. Wieder wurde vom Arzt mein Verband aufgeschnitten und er sah sich meinen Arm an und da sah ich es auch, der rote Streifen ging schon fast bis zur Achsel. Da half dann auch meine Bettelei nichts beim Arzt und er meinte ich müsse stationär aufgenommen werden. Sie verpassten mir gleich eine Gipsschiene vom Handrücken bis zur Schulter, so daß der ganze rechte Arm nicht mehr zu bewegen war.
Was sollte ich nun tun? Nun ich konnte gar nichts tun, obwohl ich doch eigentlich wieder mit Othello zur Tierärztin sollte und was sollte mit den beiden Katern zuhause nun werden, wo ich nicht heim konnte? Meine größte Sorge bereitete mir Othello, meine gesundheitliche Lage war mir nur lästig!
Schließlich habe ich meine Mutter angerufen, ich brauchte ja auch ein paar Sachen für die nächsten Tage im Krankenhaus. Ich habe ihr alles erklärt wo sie was findet und was ich brauche. Dann mußte ich ihr erklären welche Medikamente Othello wann bekommt und welches Futter für die beiden Kater ist. In den Wochen zuvor hatte Othello Probleme das Katzenklo zu benutzen, manchmal tat er es und manchmal hatte ich den Eindruck, daß er es nicht mehr bis dahin schaffte. Jedenfalls konnte ich täglich mehrmals seine Hinterlassenschaften aufputzen. Wie sollte das funktionieren wenn meine Mutter nur morgens und abends kam? Ich habe versucht mir einzureden, daß es schon irgendwie alles klappen wird.
Schließlich hat auch alles irgendwie funktioniert. 
Am Freitagabend bekam ich meine ersten beiden Infusionen mit Antibiotikum, genauso wie an den folgenden Tagen morgens und abends. Freitagnacht hatte ich noch die Hoffnung ich könnte spätestens Sonntag wieder nach Hause gehen und ich habe diese fiesen Bakterien mit all meiner Macht und Vorstellungskraft bekämpft. Als sich der Arzt am Samstag die Wunde anschaute war ich ganz zufrieden, der rote Streifen war weg und die Hand kaum noch geschwollen, der Arzt war aber anderer Ansicht und puhlte ein bißchen in den vier Wunden (von jedem Eckzahn eine) herum, was mehr weh getan hat als der Biß an sich. Zum Glück bekam ich dann aber keine Gipsschiene mehr.
Am Samstagmorgen hatte mich dann noch die Tierärztin angerufen. Es hatte ihr keine Ruhe gelassen wie Othellos Fell sich so leicht lösen konnte. Also hat sie Kollegen gefragt und im Internet recherchiert. Sie ist dann zu dem Schluß gekommen, daß es entweder eine Stoffwechselerkrankung sein müsste oder ein Tumor in seinem Körper. Beides wäre aber wohl eher nicht mehr behandelbar, bei seinen Vorerkrankungen.
Es sollte nun aber noch bis Montagmittag dauern bis ich nach Hause gehen konnte. Meine Mutter hat mich glücklicherweise abgeholt und ich hatte morgens schon Termine bei meinem Hausarzt und in der Tierarztpraxis, für nachmittags, gemacht.
Mein erstes Bestreben war eigentlich gewesen zu duschen. Drei Tage im Krankenhaus, wo man beide Arme verbunden hat, rechte Hand wegen der Bißwunde und am linken Unterarm die Kanüle für die Infusionen, ist nicht wirklich passend für die Körperpflege.
Doch als Erstes habe ich geputzt als ich ins Haus kam. Othello hatte wohl gar nicht mehr das Katzenklo benutzt und so mußte ich sauber machen. Glücklicherweise hatte ich Gummihandschuhe da, die rechte Hand hatte ja immer noch einen Verband.
Ich sah dann auch, daß Othello seinen Hintern anscheinend gar nicht mehr richtig hoch nahm beim urinieren und im eigenen Saft saß. Sein ganzes Hinterteil war naß. Er tat mir so leid, weil zum Putzen hatte er anscheinend auch schon nicht mehr die Kraft. Eine schlimme Situation für eine Katze.
Am Nachmittag hat sich die Ärztin dann die Wunde angesehen und meinte, selbst wenn man das Risiko eingehen würde und ihn narkotisieren würde, um die Wunde zu nähen, wäre es unwahrscheinlich, daß es halten würde. Die Fläche war einfach zu groß und das Gewebe drumherum auch nicht mehr gesund. Aber offen könnte sie eben auch nicht bleiben. Und schließlich meinte sie mit einem vielsagenden Blick “also wenn es mein Kater wäre…”.
Wie oft in den Wochen davor hatte ich morgens damit gerechnet Othello irgendwo leblos liegen zu sehen. Die Vorstellung ihn bald zu verlieren war immer da, aber nun in diesem Moment wurde es Wirklichkeit. Die Ärztin meinte noch es müsse nicht sofort sein und so haben wir vereinbart, daß ich in dieser Woche nochmal reinkommen würde um ihn einschläfern zu lassen.
So bin ich ein letztes Mal mit Othello nach Hause gefahren. Zuhause hätte ich ihn so gerne in den Arm genommen, aber da war die Wunde am Nacken, die Wunde am Bein und ich glaube es hätte ihm Angst gemacht. Also habe ich neben ihm gesessen, ihn am Kopf gestreichelt, mit ihm geredet und geweint. Schon lange habe ich nicht mehr so geweint wie an diesen Tagen.
Ich habe ihn beobachtet an diesem Montagabend und er hatte kaum noch Kraft. Drei Schritte ist er gegangen und dann ließ er sich wieder flach auf den Bauch fallen. Es tat weh ihn so zu sehen.
Mein Entschluß war dann auch bald gefaßt es für uns beide nicht unnötig lange hinauszuzögern, ich habe gleich am Dienstag in der Praxis einen Termin gemacht für nachmittags.

Ich habe versucht jede Minute mit ihm noch auszukosten, ihn bewußt wahrzunehmen. Er hat sein geliebtes Feuchtfutter bekommen sobald er alles aufgefressen hatte. Immer wieder haben mich Zweifel befallen, ob ich das Richtige mache, aber wenn ich ihn mir ansah, seine Wunden, seine Müdigkeit, sein Schleichen, dann war es klar das Richtige. Aber sein Blick? Was sagte der? Ich wünschte ich hätte ihn besser verstehen können.

Schließlich wurde es Zeit und wir sind in die Praxis gefahren. Wir wurden in einen eigenen Raum, abgetrennt von der übrigen Praxis, gebracht und er hat erst eine Spritze zum Schlafen bekommen. Er ist mit offenen Augen weggedämmert und hat zum Ende dann eine Infusion mit überdosiertem Narkotikum bekommen. Dann waren die Augen zu und der Körper ganz schlaff.
Es schnürt mir die Kehle zu und Tränen stehen mir in den Augen während ich dies hier schreibe. Ich habe so etwas noch nie vorher erlebt und nie einen solchen Verlust gespürt.
Mit Othellos Leichnam bin ich zum Hof meiner Eltern gefahren, dort hat mein Vater im Wald ein Grab gegraben und wir haben ihn an einem friedlichen Ort begraben.
Wieder zuhause begrüßte mich Moritz, mein anderer Kater, aber das Haus fühlte sich leer an und ich fühlte mich irgendwie als wäre ich gewachsen. 
Ich bin froh, daß ich Moritz habe, sonst wäre ich wohl in den letzten Wochen wahnsinnig geworden in diesem Haus alleine. Aber Moritz ist so ganz anders als Othello. Zu Othello hatte ich immer eine besondere Verbindung. Er hat mich verstanden und ich ihn (meistens). Othello suchte immer meine Nähe, war sehr verschmust und konnte stundenlang auf meinem Schoß liegen. Moritz ist viel unabhängiger und taucht oft unter meiner Hand weg, die ihn streicheln will. Doch, wie gesagt, ich bin so froh, daß er da ist.
Othello wird immer einen Platz in meinem Herzen und in meiner Erinnerung haben.

9 Kommentare:

  1. ....das tut mir so schrecklich leid....auch das jetzt alles nochmal nieder zu schreiben.....ich bin hier grad völlig in Tränen aufgelöst weil du und Otello sowas durchmachen musstet....aber mit deinem Post hast du Otello in Erinnerung gebracht und gezeigt, wie sehr du ihngelibt hat und noch liebst....

    Ich drück dich virtuell...

    Liebe Grüsse
    Katja

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  2. Hallo Manuela,

    wieso ich hier gelandet bin, das weißt du ja. Und ich geb zu, so einen Post hatte ich jetzt nicht erwartet. Aber dafür wird der bei mir sehr positiv hängenbleiben. Mein Freund ist ein Katzenmensch durch und durch. Seine aktuelle Mitbewohnerin ist eine kleine 18-jährige Seniorin auf vier Pfoten. Aber auch die vorherigen Mitbewohnerinnen, die ich selber leider nicht mehr kennenlernen konnte, haben alle ihren eigenen Platz in seinem Herzen, so wie es auch dein aktueller Spruch der Woche beschreibt, der mir sehr gut gefällt! Ich werde sicherlich noch öfters vorbei schauen!!

    Alles Liebe,
    und lass dich auch von mir virtuell drücken,
    Eva

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  3. Ach, meine Liebe...fühle dich ganz feste gedrückt. Ich hoffe es geht jetzt langsam wieder aufwärts für dich!
    Liebe Grüße - Irma

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  4. ich verstehe voll, dass es so lange gedauert hat, bis du diesen post schreiben konntest. mir wirds immer ganz flau, wenn ich dran denke, dass für unseren kater auch eines tages die uhr abgelaufen sein wird... dabei ist er mit 6 jahren ja noch relativ jung. sie sind einfach familienmitglieder, ganz klar. und unserer ist noch nicht mal der große schmuser. ich kann mir vorstellen, wie froh du bist, dass wenigstens moritz noch um dich rum ist und dich ablenkt. und du hast mit sicherheit das richtige getan und othello erlöst!
    alles liebe, fühl dich gedrückt!

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  5. Liebe Manuela, wie mutig von Dir, das alles nochmals schriftlich festzuhalten. Ich habe eine richgtige Gänsehaut bekommen beim Lesen. Sicher werden Dir immer wieder starke Gefühle bei der Erinnerung auftauchen. Ich wünsche Dir, dass Du gut damit zurecht kommst. Lieben Gruß Deine Monika

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  6. Liebe Manuela,


    Du beschreibst sehr bewegend, wie es vielen Tierliebhabern beim Abschied geht. Vor 2 Jahren ging es mir mit unserem wundervollen Hund genauso. Aber auch wenn das jetzt nicht tröstet - nach einer Zeit bleiben nur noch die glücklichen Erinnerungen übrig.
    Dir alles Liebe

    Corinne

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  7. Hallo Manuela
    Deine Geschichte berührt mich sehr und ich weiß genau,wie Du Dich fühlst.
    Habe so was ähnliches erlebt.
    Das ist so traurig und es tut mir sehr leid.
    Ich wünsche Dir alles Liebe
    Sonja

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  8. Ein Beitrag der total unter die Haut geht. Ich schicke dir jetzt mal einen dicken Knuddler.

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  9. Oh mann, das waren ja wirklich dramatische Tage, die du da erleben musstest. Ich kann sehr gut verstehen, dass du so lange gebraucht hast, die ganze Geschichte aufzuschreiben. Ich habe gerade auch deine Posts zum Thema Schreibübungen gelesen - war das auch eine davon? Denn auch wenn dieser Post hier eine schreckliche, traurige Geschichte ist, finde ich doch, dass du sie sehr "schön" geschrieben hast. Ich geh' mir jetzt mal ein Tempo suchen...
    Alles, alles Liebe! Svenja

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