Donnerstag, 10. Januar 2013

Die tausend Herbste des Jacob De Zoet

 David Mitchell
Rowohlt Verlag


>Das Haus von Kawasemi der Konkubine, 
oberhalb von Nagasaki 
die neunte Nacht des fünften Monats

 „Fräulein Kawasemi?“ Orito kniet auf dem feuchten, muffigen Futon. „Hören Sie mich?“
Im Reisfeld hinter dem Garten bricht lärmend ein Froschkonzert los.
Orito tupft der Konkubine mit einem Lappen den Schweiß vom Gesicht. 
„Sie spricht kaum noch“, die Zofe hält die Öllampe, „schon seit Stunden...“ 
„Fräulein Kawasemi, mein Name ist Aibagawa. Ich bin Hebamme. Ich will helfen.“ 
Kawasemi öffnet mühsam die Augen. Sie seufzt schwach. Ihre Augen fallen wieder zu. 
Sie ist so erschöpft, denkt Orito, dass sie sich nicht einme vor dem Sterben fürchtet. 
Dr. Maeno flüstert durch den Musselinvorhang. „Ich wollte die Lage des Fötus selbst untersuchen, aber...“, der alte Gelehrte wählt seine Worte mit Bedacht, „...aber das ist anscheinend nicht gestattet.“ 
„Ich habe klare Befehle“, sagt der Kammerherr. „Kein Mann darf sie berühren.“ 
Orito hebt das blutbefleckte Laken und sieht den Arm des Fötus, der, wie man ihr vorher berichtet hat, bis zur Schulter aus Kawasemis Vagina hängt. 
„Haben Sie schon mal eine solche Kindslage gesehen?“ fragt Dr. Maeno. 
„Ja; auf einer Kupfertafel, in der niederländischen Abhandlung, die mein Vater übersetzt hat.“ 
„Das habe ich gehofft! Die Beobachtungen von William Smellie?“ 
„Ja. Dr. Smellie nennt es“, Orito wechselt ins Niederländische, „'Armvorfall'“ 
Orito nimmt das schleimbeschmierte Handgelenk des Fötus, um den Puls zu fühlen. 
Maeno fragt, diesmal auf Niederländisch: „Wie lautet Ihr Befund?“ 
Es ist kein Puls vorhanden. „Das Kind ist tot“, antwortet Orito in derselben Sprache, „und auch die Mutter wird sterben, wenn sie nicht schnell entbunden wird.“ Sie legt die Fingerspitzen auf Kawasemis schwangeren Bauch und tastet den Bereich um den vorgestülpten Nabel ab. „Es war ein Junge.“ Sie kniet sich zwischen Kawasemis gespreizte Beine, bemerkt das schmale Becken und hält die Nase an die geschwollenen Schamlippen: Sie riecht die malzige Mischung aus geronnenem Blut und Exkrementen, aber nicht den Gestank eines verwesten Fötus. „Er ist vor eine bis zwei Stunden gestorben.“ 
Dann fragt sie die Zofe: „Wann ist die Fruchtblase geplatzt?“ 
Die Zofe ist vor Staunen über die fremde Sprache verstummt. 
„Gestern Morgen, in der Stunde des Drachen“, sagt der Haushalter mit steinerner Stimme. „Kurz darauf setzten die Wehen ein.“ 
„Und wann hat das Kind zum letzten Mal gestampelt?“
„Das muss heute um die Mittagszeit gewesen sein.“<

Das sind die ersten beiden Seiten des Buches und man wird sofort in eine andere Welt hineingesogen. 
Japan kurz vor dem Jahr 1800, das Land hat sich total abgeschottet, Japaner dürfen das Land nicht verlassen und Ausländer dürfen das Land nicht betreten. Abgesehen von der Handelsniederlassung der niederländischen Ostindien-Kompagnie auf Dejima. Das ist eine rundum abgeschlossene Insel. Hier landet der junge Jacob de Zoet mit der Absicht zu Reichtum zu kommen. Er verliebt sich in eine junge Japanerin und sein Aufenthalt wird ganz anders verlaufen als es ihm jemals in den Sinn gekommen wäre.

Nach langer Zeit habe ich endlich mal wieder ein dickes Buch gelesen und es hat mich von Anfang an gepackt und nicht mehr losgelassen. David Mitchell hat eine wunderbare bildhafte Sprache. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung von Japan zu dieser Zeit und auch nicht, daß die Niederländer dort anscheinend für einige Zeit die einzigen Ausländer waren, die Kontakt zu Japanern hatten. Irgendwie habe ich immer mehr die Engländer und Portugiesen dort gesehen.
So bekommt man ein wenig von der japanischen Kultur mit, aber auch von den Handelsgebahren der westlichen Welt.
Jedenfalls habe ich dieses Buch mit großem Vergnügen gelesen und kann es absolut empfehlen!

1 Kommentar:

  1. kommt auf meine liste, bin immer dankbar für tipps!
    ich lese mich gerade wieder durch eine reihe hakan nesser bücher, einer meiner lieblingsautoren.
    schönes wochenende wünsch ich dir!

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